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  • Ärztlicher Ab­rech­nungs­betrug – streng formale Be­tracht­ungs­weise beim Schaden

Ärztlicher Abrechnungs­betrug – streng formale
Betrachtungs­weise beim Schaden

In der nachfolgenden Darstellung geben wir an Hand eines Urteils des Landgerichts Würzburg einen Überblick über die Entwicklung der sogenannten „streng formalen Betrachtungsweise“ beim vertragsärztlichen (früher kassenärztlichen) Abrechnungsbetrug in der Rechtsprechung des BGH, die hieran geübte Kritik in der juristischen Literatur, und gehen auf verfassungsrechtliche Aspekte unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein.

A. Zum Sachverhalt aus dem Urteil des Landgerichts (vereinfacht dargestellt)

Das Landgericht Würzburg hat einen Zahnarzt wegen Betruges und versuchten Betruges zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Der Zahnarzt hatte in einem Sozialgerichtsprozess ab einem fest bestimmten Zeitpunkt auf seine vertragszahnärztliche Zulassung verzichtet, in der Absicht seine Praxis bis zu diesem Zeitpunkt zu verkaufen, was ihm nicht gelang.

Da er nach diesem Zeitpunkt nicht mehr berechtigt war gegenüber der Kassenzahnärztlichen Vereinigung abzurechnen, vereinbarte er mit einem Kollegen, der die vertragszahnärztliche Zulassung hatte, dass er seine Patienten bis zum Verkauf der Praxis weiter behandeln würde, die Abrechnung jedoch über den Kollegen erfolgen sollte.

Dementsprechend behandelte der nach wie vor approbierte Zahnarzt für einige Monate seine Patienten fachgerecht und beanstandungsfrei weiter (bis zum Verkauf der Praxis) und rechnete die erbrachten Leistungen über den Namen des Kollegen ab, (selbstverständlich) ohne mitzuteilen, dass die zahnärztlichen Dienstleistungen nicht vom Kollegen, sondern von ihm erbracht worden waren. Die Kassenzahnärztlichen Vereinigung zahlte einen erheblichen Teil der gelten gemachten Gebühren an die Praxis aus, einen Teil behielt sie ein.

Das OLG Bamberg hält die Verurteilung wegen Betruges auch unter verfassungsrechtlicher Sicht für richtig.

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B. Die Entwicklung der Rechtsprechung des BGH zur streng formalen Betrachtungsweise bzw. zum Schaden beim ärztlichen Abrechnungsbetrug.

I. Überblick

Der Bundesgerichtshof verwendet bei der Feststellung eines Schadens insbesondere beim kassenärztlichen Abrechnungsbetrug aber auch in anderen Fällen im Zusammenhang mit der Abrechnung gegenüber Krankenkassen die streng formale Betrachtungsweise (zuletzt BGH NJW 2014, 3170 (3171 f.)) nach der sich der Schadensbegriff des § 263 StGB akzessorisch zum Sozialversicherungsrecht verhält.

Die streng formale Betrachtungsweise der Rechtsprechung des BGH beruht auf der Überlegung, dass für die Bewertung der erbrachten ärztlichen Leistungen die Regelungen des Sozialrechts maßgeblich seien. Verstößt demnach der Leistungserbringer gegen gesetzliche Vorschriften oder vertragliche Vereinbarungen und steht ihm infolge dessen keine Vergütung zu, so wird das Vermögen der Kranken- bzw. Pflegekasse durch eine Bezahlung der Rechnung gemindert, ohne dass diese Minderung durch das Erlöschen eines entsprechenden Vergütungsanspruchs kompensiert wird (BGH NJW 2012, 1377 (1388)). Der Wert der ärztlichen Leistung kann nach dieser Auffassung den Vermögensabfluss durch Zahlung der ärztlichen Vergütung nicht kompensieren, da er nach sozialrechtlichen Grundsätzen mit Null bewertet wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gelte das selbst dann, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden seien (BSG NZS 2006, 29 (31 m.w.N.)).
In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs BGH NJW 2014, 3170 hat der BGH nunmehr auch die Leistung eines Dienstleisters (in diesem Fall kein Arzt, sondern ein Pflegedienst) bewertet, und damit festgestellt, dass, nachdem die Leistung von minderqualifizierten Personal als es vertraglich vorgesehen war erbracht wurde, (auch) aufgrund dessen die Leistung tatsächlich keinerlei Wert hatte, der als Gegenleistung zu berücksichtigen wäre.

II. Die maßgeblichen Entscheidungen des BGH zur streng formalen Betrachtungsweise

Ihren Ausgangspunkt hatte die Rechtsprechung insoweit in der Entscheidung BGH Beschl. v. 28.09.1994, Az.: 4 StR 280/94



1. BGH Beschl. v. 28.09.1994, Az.: 4 StR 280/94

In dieser Entscheidung führt der BGH in Rn 5 und 6 folgendes aus:

„Bei der Berechnung des Schadensumfanges geht das Landgericht zunächst zu Recht davon aus, daß auch für den Bereich nichtärztlicher Leistungen der den Krankenkassen entstandene Schaden in voller Höhe den dem Angeklagten erstatteten Beträgen entspricht. Dem steht nicht entgegen, dass Leistungen sowohl von dem Angeklagten (Auswertung der Laborbefunde, Diagnosestellung) als auch von dem von ihm beauftragten Hilfspersonal (Infusionen, Durchführung von Blutentnahmen) in weitem Umfang erbracht worden sind. Dies beruht auf einer für den Bereich des Sozialversicherungsrechts geltenden streng formalen Betrachtungsweise, nach der eine Leistung insgesamt nicht erstattungsfähig ist, wenn sie in Teilbereichen nicht den gestellten Anforderungen genügt (vgl. BSG 39, 288, 290 für Leistungen ärztlichen Hilfspersonals; § 15 Abs. 3 der Richtlinien der KBV vom 8. Dezember 1979 für radiologische ärztliche Leistungen allgemein).
Auch eine Kompensation in der Form, dass die Krankenkassen infolge der von dem Angeklagten beziehungsweise seinen Helferinnen erbrachten Leistungen Aufwendungen erspart haben, die ihnen bei Inanspruchnahme eines anderen Arztes durch die vom Angeklagten behandelten Patienten entstanden wären, findet im Rahmen der Schadensberechnung nicht statt. Dieser beachtliche Umstand muss jedoch im Rahmen der Strafzumessung in angemessener Weise zugunsten des Angeklagten berücksichtigt werden. Daran fehlt es hier.“

Ohne näher auf Darlegungen des BSG zur streng formalen Betrachtungsweise einzugehen übernahm der Bundesgerichthof den Umstand, dass das BSG eine Leistung als insgesamt nicht erstattungsfähig ansieht auch wenn sie nur in Teilbereichen den gestellten sozialrechtlichen Anforderungen nicht genügt und folgert daraus die objektive Wertlosigkeit der erbrachten ärztlichen Leistung auch im strafrechtlichen Sinn.
Warum eine Kompensation bei der Feststellung eines Schadens durch den Umstand, dass die Krankenkassen Aufwendungen erspart haben nicht stattfindet wurde nicht ausgeführt.

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2. 3 StR 161/02 – Urteil vom 5. Dezember 2002

In Rn 28, 29 führte der BGH aus:

„Die Strafkammer hat in der Auszahlung der Honorare an den Zeugen R. für die Leistungen, die der Angeklagte als Nichtkassenarzt erbracht hatte, ohne Rechtsfehler einen entsprechenden Vermögensschaden gesehen. Nach der für den Bereich des Sozialversicherungsrechts geltenden streng formalen Betrachtungsweise (vgl. BGH NStZ 1995, 85 f.) genügt hierfür bereits der Umstand, dass der Angeklagte ohne kassenärztliche Zulassung nicht berechtigt ist, an der durch die KZV erfolgten Verteilung der von den Kassen bezahlten Honorare teilzunehmen. Dabei spielt es keine Rolle, dass den Kassen infolge der Behandlung ihrer Patienten durch den Angeklagten Aufwendungen in möglicherweise gleicher Höhe erspart blieben, die ihnen durch die Behandlung durch einen anderen, bei der Kasse zugelassenen Arzt entstanden wären. Denn eine solche Kompensation findet bei der Schadensberechnung nicht statt (BGH NStZ 1995, 85, 86), zumal ein anderer hypothetischer Sachverhalt zugrunde gelegt wird und offen bleiben muss, ob ein anderer Arzt die gleiche Behandlungsweise gewählt hätte.
Soweit der Beschwerdeführer Bedenken gegen diese streng formale sozialversicherungsrechtliche Betrachtungsweise anmeldet und unter Bezugnahme auf Stimmen aus dem strafrechtlichen Schrifttum (vgl. Volk NJW 2000, 3385 ff.) Einschränkungen verlangt, kann offen bleiben, ob dem zu folgen ist. Die Notwendigkeit von Einschränkungen wird diskutiert für Fälle des Abrechnungsbetrugs begangen durch Ärzte, die sich als Partner einer zugelassenen Gemeinschaftspraxis ausgaben, in Wahrheit aber lediglich Angestellte waren und denen deshalb vorgeworfen wurde, sich die Zulassung erschlichen zu haben (vgl. OLG Koblenz, MedR 2001, 144 f.). In solchen Fällen mag tatsächlich zweifelhaft sein, ob der Irrtum der Verantwortlichen bei der Kassenärztlichen Vereinigung nicht allein eine “Statusfrage”, nicht aber die Abrechnungsvoraussetzungen betrifft und ob nicht die Auszahlung des Honorars deswegen auch keinen Vermögensschaden begründet. Daraus lässt sich aber für die Beurteilung der Strafbarkeit des Angeklagten nichts ableiten. Anders als die Ärzte in den genannten Fällen, die immerhin wirksam zugelassen waren und im übrigen – nach Genehmigung – auch als Angestellte eines Kassenarztes hätten tätig werden dürfen, gehört der Angeklagte nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten; mit den Abrechnungen, die er und der Mittäter R. vorgelegt haben, ist nicht lediglich über berufsständische “Statusfragen” getäuscht worden.“



3. BGH 1 StR 45/11 – Beschluss vom 25. Januar 2012

Die Entscheidung des BGH auf die das Landgericht Würzburg in seiner Entscheidung Bezug nimmt betrifft zunächst keine Abrechnung eines Kassenarztes sondern die Abrechnung eines privat liquidierenden Arztes. Bezugnehmend auf die voran gegangen Entscheidungen zum kassenärztlichen Abrechnungsbetrug wird die Rechtsprechung zur streng formalen Betrachtungsweise bestätigt.

Rn. 91,92:

„Nach ständiger Rechtsprechung ist unter Vermögensschaden i.S.d. § 263 StGB – gleichermaßen wie unter Nachteil i.S.d. § 266 StGB – jede durch die Tat verursachte Vermögensminderung zu verstehen, wobei diese nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung auf Grund eines Vergleichs des Vermögensstandes vor und nach der Tat bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise festzustellen ist (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 – 3 StR 444/10; BGH, Beschluss vom 13. September 2010 – 1 StR 220/09; BGH, Urteil vom 4. März 1999 – 5 StR 355/98; BGH, Beschluss vom 30. Juli 1996 – 5 StR 168/96; Fischer, aaO, § 263 Rn. 110 ff. mwN). Normative Gesichtspunkte können bei der Bewertung von Schäden eine Rolle spielen; sie dürfen die wirtschaftliche Betrachtung allerdings nicht überlagern oder verdrängen (BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 1857/10 Rn. 176). Ein Schaden liegt nicht vor, wenn zugleich ein den Verlust aufwiegender Vermögenszuwachs begründet wird. Ein solcher Vermögenszuwachs tritt beispielsweise ein, soweit das Vermögen von einer Verbindlichkeit in Höhe des Verlustes befreit wird (BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 – 3 StR 444/10 mwN). Eine solche Kompensation scheidet hingegen regelmäßig dann aus, wenn sich die Vermögensmehrung nicht aus der Verfügung selbst ergibt, sondern durch eine andere, rechtlich selbständige Handlung hervorgebracht wird (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2010 – 1 StR 220/09; BGH, Urteil vom 4. März 1999 – 5 StR 355/98).
Maßgeblich für den Vermögensvergleich ist der Zeitpunkt der täuschungsbedingten Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der hier in der Zahlung an den Angeklagten liegenden Vermögensverfügung; spätere Entwicklungen, wie Schadensvertiefung oder Schadensausgleich, berühren den tatbestandlichen Schaden nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2011 – 2 StR 616/10; BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009 – 1 StR 731/08; BGH, Urteil vom 4. März 1999 – 5 StR 355/98 jew. mwN).“

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Rn. 97 – 102

„Die Bewertung des Vermögens bzw. Schadens erfolgt nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Auf die subjektive Einschätzung des Patienten, ob er sich wegen der von einem anderen als dem Angeklagten erbrachten Leistung nicht geschädigt fühlt, kommt es nicht an. Maßgebend für den Vergleich von Leistung und Gegenleistung ist regelmäßig der Verkehrswert (vgl. Cramer/ Perron in Schönke/Schröder, aaO, § 263 Rn. 109 ff. mwN) oder ein an Angebot und Nachfrage orientierter Marktpreis, der auch nach dem von den Vertragsparteien vereinbarten Preis unter Berücksichtigung der für die Parteien des fraglichen Geschäfts maßgeblichen preisbildenden Faktoren bestimmt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2010 – 1 StR 245/09).
Für privatärztliche Leistungen, für die es weder einen Verkehrswert noch einen (objektiven) Markt oder einen von den Vertragsparteien frei zu vereinbarenden Preis gibt, bestimmen die materiell-rechtlichen Normen zur Abrechenbarkeit der Leistung, namentlich der GOÄ, zugleich deren wirtschaftlichen Wert. Ist etwa eine Behandlungsleistung zwar erbracht, gilt sie aber als mit einer anderen Leistung abgegolten (vgl. z.B. § 4 Abs. 2a GOÄ), kommt ihr kein eigener wirtschaftlicher Wert zu, mag auch der Patient, hätte er die Leistung alleine bezogen, daraus resultierende Aufwendungen gehabt haben. In dem Umfang, in dem die Rechtsordnung einer privatärztlichen Leistung die Abrechenbarkeit versagt, weil etwa die für die Abrechenbarkeit vorgesehenen Qualifikations- und Leistungsmerkmale nicht eingehalten sind, kann ihr kein für den tatbestandlichen Schaden i.S.v. § 263 StGB maßgeblicher wirtschaftlicher Wert zugesprochen werden (vgl. Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315, 316; für wahlärztliche Leistungen: Hellmann/Herffs, aaO, Rn. 391 ff.; Freitag, aaO, S. 175 f.).
Führt die erbrachte ärztliche Leistung mangels Abrechenbarkeit nicht zum Entstehen eines Zahlungsanspruchs, findet eine saldierende Kompensation nicht statt. Zahlt der in Anspruch Genommene irrtumsbedingt ein nicht geschuldetes Honorar, ist er in Höhe des zu Unrecht Gezahlten geschädigt. Wer eine Leistung unter den jeweils gegebenen Umständen unentgeltlich erlangen oder bereits dafür Geleistetes zurückfordern kann, ohne hierfür Wertersatz leisten zu müssen, ist in Höhe desjenigen Betrages geschädigt, den er täuschungsbedingt gleichwohl hierfür aufgewandt hat.



Dies entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum vertragsärztlichen Abrechnungsbetrug (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2002 – 3 StR 161/02; BGH, Beschluss vom 28. September 1994 – 4 StR 280/94; BGH, Urteil vom 10. März 1993 – 3 StR 461/92; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 8. September 1997 – 2 BvR 2414/97), deren zugrunde liegende Wertung – unbeschadet sozialrechtlicher Besonderheiten – auf den Bereich privatärztlicher Leistungserbringung und Abrechnung übertragbar ist (vgl. auch Peickert, MedR 2000, 352, 354; a.A. Gercke/Leimenstoll, MedR 2010, 695).
Für privatärztliche Leistungen bestimmt die GOÄ den Inhalt der abrechnungsfähigen ärztlichen Leistungen und deren taxmäßige (standardisierte) Honorierbarkeit abschließend. Die Anspruchsvoraussetzungen sind jeweils – dort nach Sozialrecht, hier nach den materiell-rechtlichen Vorschriften der GOÄ – fest umschrieben, eine tatbestandliche Schadenskompensation allein mit erbrachter ärztlicher Leistung ist dadurch ausgeschlossen (zutreffend Tiedemann in LK-StGB, 11. Aufl., § 263 Rn. 267). Der Leistende wird nicht von einer Verpflichtung gegenüber dem Arzt befreit, eine wirtschaftliche Vermögenssaldierung ergibt daher ein Minus (Hellmann, NStZ 1995, 232; Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315, 316).
Dass der Arzt durch Leistungserbringung von einer Leistungspflicht befreit wird, eine erneute Behandlung “wirtschaftlich unsinnig” wäre (Gaizik, wistra 1998, 329, 332, ebenso Idler, JUS 2004, 1037, 1040; Stein, MedR 2001, 124, 127), ist für die Schadensbestimmung unbeachtlich. Auch eine von einem Laien durchgeführte und zufällig erfolgreiche Behandlung würde erneute Leistungserbringung “unsinnig” machen (vgl. Grunst, NStZ 2004, 533, 535), ohne dass ihr ein wirtschaftlicher Wert zugesprochen werden könnte.“

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4. BGH 4 StR 21/14 – Beschluss vom 16. Juni 2014 (LG Hagen)

In der letzten Entscheidung des BGH zu diesem Bereich begründet der BGH seine Auffassung über den Eintritt eines Schadens jedenfalls teilweise auch mit dem Eintritt eines wirtschaftlichen und nicht nur normativen Schadens und erklärt, dass verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden.

In Rn 33 heißt es:

„Ein solcher tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (Gesamtsaldierung, vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2012 – 2 StR 79/12, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 77; Beschlüsse vom 25. Januar 2012 – 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95 Rn. 75; vom 5. Juli 2011 – 3 StR 444/10, jeweils mwN). Aus dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG folgt dabei, dass die gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht durch eine normative Auslegung des Merkmals des Vermögensnachteils bzw. -schadens überlagert werden darf (vgl. BVerfG, NStZ 2010, 626, 629; NJW 2012, 907, 916 f.).“


In Rn 37, 38 dann:
„Das Unterschreiten der nach dem Vertrag vereinbarten Qualifikation führt nach den insoweit maßgeblichen Grundsätzen des Sozialrechts auch dann zum vollständigen Entfallen des Vergütungsanspruchs, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden (“streng formale Betrachtungsweise”, vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2002 – 3 StR 161/02, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 62 m. Anm. Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315, 316; Beschluss vom 28. September 1994 – 4 StR 280/94, NStZ 1995, 85 f.; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. Dezember 2009 – L 1 KR 89/06, Rn. 36, juris). Dies ergibt sich aus Folgendem:



Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können die Krankenkassen auf formalen Ausbildungs- und Weiterbildungsqualifikationen bestehen, weil sonst eine den praktischen Erfordernissen entsprechende Qualitätskontrolle der Leistungserbringung nicht möglich ist (BSGE 98, 12 Rn. 32 mwN). Die Abrechenbarkeit von Leistungen knüpft daher streng an die formale Qualifikation des Personals an, wobei die vertragliche Vereinbarung mit dem Leistungserbringer maßgeblich ist (SG Potsdam, Urteil vom 8. Februar 2008 – S 7 KR 40/07, juris; SG Dresden, Beschluss vom 10. September 2003 – S 16 KR 392/03 ER). Dem Leistungserbringer steht daher für Leistungen, die er unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften oder vertragliche Vereinbarungen bewirkt, auch dann keine Vergütung zu, wenn diese Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht sind (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Mai 2000 – B 3 KR 19/99 B, Rn. 5, juris; BSGE 94, 213, 220 Rn. 26; Urteil vom 8. September 2004 – B 6 KA 14/03 R, Rn. 23, juris, jeweils mwN). Auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung oder Geschäftsführung ohne Auftrag scheiden in diesen Fällen aus (BSG, Beschluss vom 17. Mai 2000 – B 3 KR 19/99 B, Rn. 5, juris). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Rechtsauffassung bestehen nicht. Die Regelungen im Sozialrecht dienen in erster Linie der Wirtschaftlichkeit und der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, welche einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang darstellen (vgl. BVerfG, NJW 2014, 2340, 2341 Tz. 34).“

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Weiter in Rn. 40 -42

„bb) Darüber hinaus stellte die Arbeitsleistung als solche keine Gegenleistung für die Zahlungen der Kranken- und Pflegekasse dar. Aufgrund der verletzten vertraglichen Vorgabe war unter den hier gegebenen besonderen Umständen die Qualität der Leistung so gemindert, dass ihr wirtschaftlicher Wert gegen Null ging (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juli 2014 – 5 StR 182/14, Rn. 13; Singelnstein, wistra 2012, 417, 422; Schönke-Schröder/Perron, StGB, 29. Aufl., § 263 Rn. 112b; Luig, Vertragsärztlicher Abrechnungsbetrug und Schadensbestimmung, 2009, S. 147; Volk, NJW 2000, 3385, 3387 f.; Dannecker/Bülte, NZWiSt 2012, 81, 84; Dann, NJW 2012, 2001, 2003; Wischnewski/Jahn, GuP 2011, 212, 215; zum Abrechnungsbetrug bei Kassenärzten vgl. auch Lindemann, NZWiSt 2012, 334, 39; Grunst, NStZ 2004, 533, 536 f.; Idler, JuS 2004, 1037, 1041; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl., § 14, Rn. 14/33; Stein, MedR 2001, 124, 127, 130). Denn eine hinreichende Versorgung konnte bei dem tracheostomierten Patienten O. unter Berücksichtigung möglicher Notfallsituationen, die eine Beatmung notwendig machen konnten, entsprechend der Auffassung der B. nur erfolgen, wenn die eingesetzten Mitarbeiter über eine Zusatzausbildung zum Fachgesundheitspfleger oder Krankenpfleger bzw. Kinderkrankenpfleger für pädiatrische Intensivpflege verfügten. Dies sollte durch die vertraglichen Vereinbarungen mit der Angeklagten über die Zusatzqualifikation sichergestellt werden, was dieser auch bekannt war. Die eingesetzten Mitarbeiter der Angeklagten erhielten jedoch nicht einmal nähere Instruktionen darüber, welche Komplikationen bei Herrn O. eintreten könnten und welche Maßnahmen bei einem Notfall, z.B. während der Wartezeit auf den Notarzt zu ergreifen wären. Sie wurden lediglich darauf verwiesen, sich an die vor Ort tätigen, nicht ausgebildeten polnischen Hilfskräfte, die allerdings kaum Deutsch sprachen, zu wenden oder gegebenenfalls den Notarzt zu rufen. Vor diesem Hintergrund stellten die tatsächlich erbrachten Leistungen der Pflegedienste der Angeklagten nicht nur eine Schlechtleistung dar, sondern stehen einer Nichterbringung der vertraglich geschuldeten Leistung gleich. Die von der Angeklagten erbrachten Leistungen waren daher auch unabhängig von dem Entfallen eines sozialversicherungsrechtlichen Vergütungsanspruchs bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise für die B. wertlos. Schon aus diesem Grund steht der Annahme eines Vermögensschadens auch das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, das eine Ersetzung der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise durch eine normative Auslegung des Merkmals des Vermögensnachteils bzw. -schadens verbietet (vgl. BVerfG, NStZ 2010, 626, 629; NJW 2012, 907, 916 f.), nicht entgegen.



cc) Der Annahme eines vollständigen Vermögensverlustes steht auch nicht entgegen, dass die B. die dem Versicherten O. geschuldeten Leistungen im Nachhinein nicht mehr erbringen muss. Dabei kann dahinstehen, ob der Anspruch des Versicherten O. auf häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V durch das Tätigwerden der Angeklagten erloschen ist (vgl. LG Lübeck, GesR 2006, 176, 177; Grunst, NStZ 2004, 533, 535; Gaidzik, wistra 1998, 329, 331 f.; Ellbogen/Wichmann, MedR 2007, 14; Saliger, ZIS 2011, 902, 917; Idler, JuS 2004, 1037, 1041). Insoweit fehlt es jedenfalls bereits an der erforderlichen Unmittelbarkeit des herbeigeführten Vermögenszuwachses. Denn eine Befreiung von der Leistungspflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer stellt keine Gegenleistung für die gezahlte Pflegevergütung dar. Sie würde vielmehr aus einer anderen Leistungsbeziehung als derjenigen zwischen der B. und der Angeklagten herrühren (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95, 117; MüKo-StGB/Hefendehl, 2. Aufl., § 263 Rn. 582; Hellmann, NStZ 1995, 232, 233; Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315, 316).
Aus demselben Grund entfällt der Vermögensschaden auch nicht dadurch, dass die Krankenkasse keinen anderen Pflegedienst mit der Pflege des Herrn O. beauftragen musste und deshalb Aufwendungen erspart hat (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 StR 45/11, aaO, 118 f.; Urteil vom 4. September 2012 – 1 StR 534/11, BGHSt 57, 312 Rn. 52; Urteil vom 5. Dezember 2002 – 3 StR 161/02, NStZ 2003, 313, 315 mit zust. Anm. Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315, 316; Beschluss vom 28. September 1994 – 4 StR 280/94, NStZ 1995, 85, 86 mit zust. Anm. Hellmann, NStZ 1995, 232, 233; SSW-StGB/Satzger, 2. Aufl., § 263 Rn. 256; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 263 Rn. 155; aA Wischnewski/Jahn, GuP 2011, 212, 216; Wasserburg, NStZ 2003, 353, 357).“

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C. Kritik und Auffassungen in der Literatur

I. Zur strengen Akzessorietät zum Sozialrecht im Allgemeinen

Die strenge Akzessorietät zum Sozialrecht wird im Schrifttum häufig als mit Art. 103 Abs. GG und der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG unvereinbare Normativierung des Vermögensschadens kritisiert. Hiernach können nach der Rechtsprechung des BVerfG normative Gesichtspunkte bei der Festlegung eines Nachteils bzw. Schadens eine Rolle spielen, sie sollen aber wirtschaftliche Überlegungen nicht verdrängen. Dies gilt nicht bloß für die Untreue, sondern auch für § 263 StGB. Das BVerfG führt diesbezüglich aus, dass die mit der schadensgleichen Vermögensgefährdung zusammenhängenden Fragestellungen unabhängig von der Zuordnung zu § 263 oder § 266 StGB einheitlich behandelt werden und damit seine für den Straftatbestand der Untreue maßgeblichen verfassungsrechtlichen Erwägungen ebenso für Fallgestaltungen des Betrugs gelten (BVerfG, StraFo 2012, 27).
Die strenge Akzessorietät des Sozialrechts führt zu einer Wertlosigkeit von nicht abrechenbaren Leistungen. Dies beruht auf ausschließlich normativen Überlegungen (vgl. Prof. Dr. Matthias Krüger / und Vincent Burgert, Neues vom Straf- und Verfassungsrecht zum Abrechnungsbetrug und zur Vertragsarztuntreue, in: ZWH 2012, 213 (214)). Tiedemann rügt diesbezüglich, dass die „extreme Normativierung“ des Vermögensschadens, gegen Verfassungsrecht sowie gegen die „gefestigte bisherige Strafrechtsprechung zur Behandlung des Preisrechts im Rahmen des § 263 StGB“ verstoße (vgl. Tiedemann, in: JZ 2012, 525).



Im Falle der Vornahme medizinisch indizierter, gleichwohl aber mangels persönlicher Leistungserbringung oder aus anderen vertragsarztrechtlichen Gründen nicht abrechnungsfähiger Leistungen, bedeutet die Nichtvergütung für die Krankenkassen ein Vermögensvorteil, der im Rahmen der auch sonst beim Betrug geltenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise zu berücksichtigen ist (vgl. Klaus Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Auflage, Rn. 1128).
Nach der Rechtsprechung des BGH stellt dieser Vermögensvorteil keine Gegenleistung für die gezahlten Honorare dar, sondern steht lediglich im äußeren Zusammenhang mit den erbrachten – brauchbaren ärztlichen Leistungen (vgl. BGH NStZ 1995, 85 (86)).
Hierzu wird Kritik dergestalt geübt, dass diese Sichtweise mit dem sonstigen Strafrecht unvereinbar ist. Das Strafrecht zeichnet sich gerade durch eine materielle, auf das Tatsächliche bezogene Sicht der Dinge aus. Es ist diesbezüglich zu beachten, dass es sich einerseits um die Vornahme der erforderlichen und tauglichen ärztlichen Maßnahmen und nicht um „Luftleistungen“ handelt, andererseits die Erstattungsfähigkeit lediglich an einer Formalität scheitert (vgl. Klaus Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Auflage, Rn. 1128).

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II. Zum „Kompensationsaspekt“ und teleologische Überlegungen

1. „Kompensationsaspekt“

Ulsenheimer kritisiert, dass der Kompensationsaspekt in der Rechtsprechung übergangen wird. Seiner Meinung nach müsse er, wenn er schon nicht den Vermögensschaden ausschließt, dann aber den Schädigungsvorsatz entfallen lassen (vgl. Klaus Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Auflage, Rn. 1133 f.).
a) Dem folgend hat das LG Lübeck bei einem Abrechnungsbetrug durch einen „scheinselbstständigen“ Vertragsarzt mangels Täuschungshandlung und Vermögensschaden der Krankenkasse oder der KV verneint (vgl. LG Lübeck GesR 2006, 176 ff.).

In dem Nichteröffnungsbeschluss des LG Lübeck heißt es:

„Zwar gilt „grundsätzlich für den Bereich des Sozialversicherungsrechts“ eine „streng formale Betrachtungsweise“, doch „darf nicht übersehen werden, dass ein objektiver Betrugsschaden trotzdem nicht eintritt, wenn die Krankenkassen durch die Leistung der Laborärzte von Ansprüchen der bei ihnen Versicherten befreit worden sind, weil die Patienten eine von den Krankenkassen geschuldete Leistung erhalten haben (…) Trotz der in der Anklage dargelegten Scheinselbstständigkeit haben die Laborärzte eine der „in freier Praxis“ erbrachten gleichwertige Tätigkeit vergütet erhalten. (…) Die Laborärzte sind nur in wirtschaftlicher Hinsicht abhängig. Das nimmt ihrer ärztlichen Arbeit nicht den Wert. Denn bei ärztlichen Leistungen ist nicht der Kapitaleinsatz entscheidend, sondern das persönliche Tätigwerden. (…)
Dieser Kompensationsgedanke hat auch auf andere Fallkonstellationen des „Abrechnungsbetrugs“ Anwendung zu finden.




b) Auch das LG Berlin hat in seinem Beschluss vom 12.04.2011 (Az. 517 Qs 9/11) derart argumentiert und einen Vermögensschaden verneint. Hier heißt es:
„Da davon auszugehen ist, dass Art, Inhalt und Qualität der durch die Nachfolger erbrachten Leistungen fachärztlichem Standard entsprachen, haben die Krankenkassen der behandelnden Patienten einen adäquaten Gegenwert erhalten und wurden von einer Verpflichtung zur (erneuten) Leistungserbringung gegenüber den Patienten befreit. Es lag damit kein auf das Vermögen, leistungsbezogener Abrechnungsfehler vor. (…) Soweit das Sozialversicherungsrecht Verstöße gegen seine Ordnungsvorschriften mit dem Verlust des Honoraranspruchs sanktioniert, hat dies ordnungs- und sozialpolitische Gründe, die den strafrechtlichen Vermögensschutz nicht betreffen.”

Auch hier wurde dem Kompensationsgedanken Rechnung getragen.
Der BGH überdehnt mit der GOÄ – Akzessorietät des Strafrechts und übersieht, dass eine mangelnde Abrechnungsberechtigung nach der GOÄ nicht mit einem Vermögensschaden gleichzusetzen ist. Die strenge Akzessorietät führt dazu, dass der Schadensbegriff wertunabhängig betrachtet wird.
Prof. Henrick Schneider und Nils Kaltenhäuser führen diesbezüglich in dem Aufsatz „An den Grenzen des kreativen Strafrechts“ aus:

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„Der Begriff des Schadens, für den die herrschende Meinung und ständige Rechtsprechung zurecht auf die Saldierungslehre abstellen, ist ebenfalls durch deskriptive und normative Elemente gekennzeichnet. Im Unterschied zum Begriff des Vermögens erfordert das normative Element des Schadensbegriffs allerdings in erster Linie eine Bewertung anhand ökonomischer Kategorien. Nicht anhand des Rechts, sondern anhand wirtschaftlicher Parameter ist daher festzustellen, welchen Wert der Vermögenszufluss hat und ob er den Abfluss aus dem Opfervermögen kompensiert. Von diesem Grundsatz wird von der Rechtsprechung in den Fallgruppen des „individueller Schadenseinschlags“ zwar eine Ausnahme gemacht. Diese ist – unabhängig von der grundsätzlichen Tragfähigkeit der diesbezüglichen Position der Rechtsprechung – aber in den vorliegenden Konstellationen des Abrechnungsbetruges nicht einschlägig. Denn Ratio für den in Einzelfällen angenommenen Bruch mit der rein ökonomischen Bewertung der Zuflussseite ist stets der subjektive Nutzen der erlangten Vermögensposition für das Opfer, der in den der „streng formalen Betrachtungsweise“ zugrunde liegenden Fällen regelmäßig nicht streitig ist. Fraglich ist folglich der wirtschaftliche Wert des Vermögenszuflusses, der bei privat Versicherten beim Patienten, bei gesetzlich versicherten Patienten bei der jeweiligen Krankenkasse entsteht. Bei Privatpatienten geht es folglich um die Bemessung des wirtschaftlichen Wertes der Behandlungsleistung für den konkreten Patienten, während bei GKV-Patienten zu prüfen ist, ob die Kassen von dem Sachleistungsanspruch ihres Patienten befreit worden sind. Denn der gesetzlich versicherte Patient hat nach dem heute in § 2 Abs. 2 S. 1 in Verbindung mit § 11 SGB V normierten Strukturprinzip der Sachleistung einen Anspruch auf konkrete Gesundheitsleistungen. Demzufolge sind die gesetzlichen Krankenkassen im Versicherungsfall nicht lediglich zur Leistung von Geldzahlungen verpflichtet, sondern haben ihren Mitgliedern die Gesundheitsleistungen vielmehr als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Liegt diese Befreiung von einer Verbindlichkeit vor, ist der Vermögensabfluss entsprechend kompensiert und es ist kein Schaden entstanden“ (vgl. MEDSTRA 1/2015, S. 28).

In Bezug auf den Beschluss im sog. „Pflegedienstfall“ des 4. Strafsenats des BGH vom 16.06.2014 führen die gerade zitierten Autoren weiter aus:



„Für den in der Vergangenheit liegenden und vergüteten Zeitraum ist die Kranken- und Pflegekasse des Patienten folglich von dem entsprechenden Sachleistungsanspruch ihres Versicherten befreit worden. Dieser Zufluss im Vermögen der Kasse ist nach der Saldierungslehre und der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung in jedem Fall zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund liegt eine unzulässige Normativierung eines deskriptiven Tatbestandsmerkmals vor, wenn der BGH unter Bezug auf die „streng formale Betrachtungsweise“ und aufgrund der „verletzten vertraglichen Vorgaben“ den Wert der durchgeführten Pflegemaßnahmen mit Null beziffert“(vgl. MEDSTRA 1/2015, S.29).

Wie bereits oben aufgezeigt handelt es sich bei dem Aspekt, dass ein Vergütungsanspruch nach der Rechtsprechung des BSG nur besteht, wenn die Leistungserbringung nach ärztlichem Berufsrecht zulässig ist, um einen ausschließlich normativen, der isoliert für sich die Betrugsstrafbarkeit nicht zu rechtfertigen vermag.
Es sei nochmal darauf hingewiesen, dass der Patient vor der ärztlichen Behandlung gegenüber seiner Krankenkasse gem. §§ 2, 23 Abs.1, 27 SGB V einen Anspruch auf die Erbringung der erforderlichen medizinischen Leistungen hat. Erhält der Patient eine lege artis durchgeführte Behandlung, wird seine Krankenkasse von dieser Verbindlichkeit bzw. Verpflichtung befreit. Es ist gerade dieser Umstand, der bei der Gesamtsaldierung zu berücksichtigen ist. Es spielt für die Korrektheit und damit für die medizinische Werthaltigkeit der ärztlichen Leistung keine Rolle, ob die Leistung von einem Arzt erbracht worden ist, dem lediglich der berufsrechtliche Status eines Vertragsarztes fehlt. Den Patienten würde mithin auch kein Anspruch zustehen, die gleiche Leistung nochmal von einem ordnungsgemäß abrechnenden Arzt erbringen zu lassen, da durch die medizinisch korrekt erbrachte Behandlung das Merkmal der Notwendigkeit in §§ 23, 27 SGB entfällt. In der hiesigen Konstellation entsteht sogar ein Vorteil für die KZVB, da dem Arzt bzgl. der Vergütung aufgrund des sozialrechtlichen Verstoßes kein Anspruch zusteht. Hieraus folgt, dass die Vergütung zurückverlangt werden kann, während hingegen der Patient dennoch eine medizinisch tadellose Behandlung erhalten hat, wodurch sein Anspruch erlischt (vgl. Schneider, in: Wienke/Janke/Kramer (Hrsg.), Der Arzt im Wirtschaftsstrafrecht, 2011, S. 64).

Der Schaden kann dem folgend nicht nur danach beurteilt werden, ob die Leistung nach sozial – bzw. ärztlichem Gebührenrecht abrechenbar ist.

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2. Teleologische Überlegungen

Auch teleologische Überlegungen sprechen gegen eine Strafbarkeit bzw. der Annahme eines Vermögensschadens. Der Betrugstatbestand des § 263 StGB ist ein Vermögensdelikt. Der Betrugstatbestand erfährt eine Überdehnung, wenn er zum „Delikt zum Schutz sozialpolitischer Allgemeininteressen und Lenkungsmechanismen“ mutiert und verkommt. Die Unregelmäßigkeit in Statusfragen betrifft nicht die medizinische Leistung als solche, sondern dass deren Abrechnung trotz Verstoßes gegen berufsrechtliche Vorgaben nicht unter § 263 StGB fällt (vgl. Volk, in: NJW 2000, 3385 (3387 ff.); Stein, in: MedR 2001, 124 (130); Herffs, in: wistra 2004, 281 ff.). Der Bestand des gesetzlichen Krankenversicherungssystems ist gerade kein Schutzgut (vgl. Volk, NJW 2000, 3385).
Der BGH hat in seinem Beschluss vom 16.06.2014 – BGH 4 StR 21/14 entgegen diesem Umstand, dass Schutzgut des § 263 StGB nur das Vermögen ist, geschrieben:
„Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Rechtsauffassung bestehen nicht. Die Regelungen im Sozialrecht dienen in erster Linie der Wirtschaftlichkeit und der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, welche einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang darstellen“.
Es wird im Schrifttum ebenfalls aufgezeigt bzw. gerügt, dass die „streng formale Betrachtungsweise“ einen Automatismus darstellt, bei der bei einer ausdrücklichen oder konkludenten Täuschung über das Vorliegen der sozialversicherungsrechtlichen Abrechnungsvoraussetzungen unmittelbar auf den Schaden geschlossen wird, ohne dass es zur gebotenen separaten Subsumtion kommt. Es wird hier von dem sog. „Verschleifungsverbot“, d.h., dass einzelne Merkmale eines Straftatbestands Im Grundsatz für sich betrachtet und interpretiert werden müssen, gesprochen (vgl. Prof. Dr. Matthias Krüger / und Vincent Burgert, Neues vom Straf- und Verfassungsrecht zum Abrechnungsbetrug und zur Vertragsarztuntreue, in: ZWH 2012, 213 (214, 215); Schneider, in: Wienke/Janke/Kramer (Hrsg.), Der Arzt im Wirtschaftsstrafrecht, 2011, S. 57 (65)).





III. Erklärungen vom BGH und Schrifttum und diesbezügliche Kritik

1. Kein Vermögenswert verbotener Leistungen

a) Der BGH und Teile des Schrifttums entgegen der Kritik an der „streng formalen Betrachtungsweise“, indem sie darauf verweisen, dass die Erbringung verbotener Leistungen, wie ein Auftragsmord, auch dann nicht als Vermögenswert anerkannt wird, wenn sie üblicherweise nur gegen Entgelt erbracht wird und ihr damit „faktisch“ ein wirtschaftlicher Wert beigemessen wird (vgl. BGH NJW 2012, 1377 (1384), Böse, in: ZJS 2/2015). Nach dieser Ansicht hat es keine Bedeutung, dass die „Leistung“ in dem einen Fall in der erlaubten (wenn nicht gar gebotenen) Versorgung eines Patienten, im anderen Fall in der Begehung eines Verbrechens besteht. Dies bedeutet nach dem BGH und Teilen im Schrifttum: Wenn das Sozialrecht der erbrachten Leistung die Anerkennung als vermögenswerte (und damit abrechenbare) Leistung verweigert und insoweit auch keine anderweitigen Anspruchsgrundlagen (z.B. aus ungerechtfertigter Bereicherung oder Geschäftsführung ohne Auftrag) in Betracht kommen, kann diese auch kein Vermögenszufluss darstellen, der mit der Zahlung begründete Vermögensminderung kompensiert. (vgl. BGH NJW, 2014, 3170 (3172 Rn.29), Singelnstein, in: wistra 2012, 417 (421)).

b) Diesem Argument steht die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat diesbezüglich geäußert: „So kann beispielsweise die Verwendung des anvertrauten Vermögens zu verbotenen Zwecken nicht per se als nachteilsbegründend angesehen werden; vielmehr bleibt es auch in solchen Fällen erforderlich zu prüfen, ob das verbotene Geschäft nachteilig war.“ (siehe bereits oben).
Hierbei wird auch verkannt, dass das Strafrecht nicht deshalb gesetzwidrigen Ansprüchen Schutz gewährt, wenn ihnen innerhalb des Straftatbestandes in einzelnen Fällen ein Wert zuerkannt wird und damit mangels des Eintritts eines Schadens der Tatbestand nicht verwirklicht wird; es wird lediglich verhindert, dass der ohnehin sanktionierte gesetzwidrige Anspruch auf Grund einer weiteren Anspruchsgrundlage geltend gemacht werden kann. Das Strafrecht ist von seiner Ausrichtung her – Sanktionierung verbotenen Verhaltens – gänzlich ungeeignet, verbotenes Verhalten durch Nichtsanktionierung zu schützen.

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2. „Unmittelbarkeitserfordernis“

a) Der BGH und Teile des Schrifttums entgegnen der oben dargestellten Kritik, dass durch die Leistung des Arztes immerhin bewirkt wird, dass der Leistungsanspruch des versicherten Patienten erlischt, weil und soweit es sich um eine lege artis erbrachte Versorgung des Patienten handelt, indem sie darauf verweisen, dass die Befreiung der Krankenkasse von ihrer Leistungspflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer nicht das Leistungsverhältnis zwischen dem Arzt und der Krankenkasse betrifft und damit nicht als (unmittelbare) Gegenleistung für die Zahlung angesehen werden kann (vgl. BGH NJW 2014, 3170 (3172 Rn. 33)). Hiernach kann nach ständiger Rechtsprechung nur ein unmittelbar mit der Verfügung zusammenhängender Vermögenszufluss die mit der Verfügung eingetretene Vermögensminderung kompensieren, d.h. die Bestimmung des Schadens auf Grundlage einer Gesamtsaldierung von Vermögensnachteilen und Vermögensvorteilen ist durch einen Vergleich des Vermögens unmittelbar vor und nach der Verfügung festzustellen (vgl. Böse, in: ZJS 2/2015, S.242) Nach dem sich auf diese Ansicht stützenden BGH war zum Zeitpunkt der Verfügung, also Zahlung der Rechnung, der oben genannte Leistungsanspruch des versicherten Patienten bereits erloschen, so dass dieser Umstand als unmittelbar mit der Verfügung zusammenhängender Vermögenszufluss ausscheidet (vgl. BGH NJW 2014, 3170 (3172 Rn.33)).

b) Diesem „Unmittelbarkeitserfordernis“, welches der BGH in dem oben genannten „Pflegedienstfall“ anführt, um einen Vermögensschaden zu bejahen, widerspricht dem Konstrukt zwischen Arzt – Krankenkasse – Patient – zahnärztliche Vereinigung.
Soweit der BGH im oben genannten Pflegedienstfall darauf hinweist, dass die Befreiung der Kranken- bzw. Pflegekasse von ihrer Leistungspflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer nicht das Leistungsverhältnis zwischen dem Pflegedienst der dortigen Angeklagten und der Kranken- bzw. Pflegekasse betreffe und damit nicht als Gegenleistung für die Zahlung angesehen werden könne übersieht der Bundesgerichtshof, dass die Beziehung von Arzt zu Patient, von Patient zur Krankenkasse, von Krankenkasse zur zahnkassenärztlichen Vereinigung und von Krankenversicherung der kassenärztliche Vereinigung zum Arzt eben ein solches gesetzliches Gesamtkonstrukt darstellt, welches an die Stelle des eigentlichen Vertragsverhältnisses zwischen Arzt und Patient tritt. Jede Leistung oder Leistungsstörung zwischen Arzt und Patient wirkt sich zwangsläufig auf den Zahlungsanspruch des Arztes gegenüber der kassenärztlicher Vereinigung bzw. Krankenkasse aus. Durch die Erbringung der zahnärztlichen Leistung werden die Krankenkassen unmittelbar von der Leistungspflicht befreit.




Selbstverständlich kann dabei auch die Zahlung der zahnärztlichen Vergütung durch die kassenärztliche Vereinigung nicht als der von der erbrachten Dienstleistung losgelöster (isolierter) Akt betrachtet werden. Ohne die zahnärztliche Dienstleistung, die die Befreiung der Krankenkasse von ihrer Verpflichtung über dem Patienten zur Folge hat, würde es keine Zahlung geben. Leistung und Gegenleistung stehen hier in einem unmittelbaren Verhältnis zueinander. Die Krankenkasse bzw. die kassenärztliche Vereinigung zahlt stellvertretend für den Patienten.
Durch die Rechtsprechung des BGH wird übersehen, dass jede ärztliche (insbesondere eine lege artis durchgeführte) Behandlung einen objektivierbaren Wert, nämlich zunächst für den Patient in Form des Behandlungserfolges für seine Gesundheit und (automatisch) hierdurch die Krankenversicherung in Form der Befreiung von ihrer Verpflichtung, hat. Wie bereits oben beschrieben, wird durch die Rechtsprechung des BGH dieser einheitliche Prozess, der einzig auf dem zugrunde liegenden Konstrukt beruht, in den jeweiligen Beziehungen zwischen Arzt – Krankenkasse – Patient – zahnärztliche Vereinigung, isoliert betrachtet, um einen Vermögensschaden zu bejahen.

IV. Freie Arztwahl und vertragsärztliche Zulassung

Für gesetzlich Versicherte deutsche Patienten gilt das Prinzip der freien Arztwahl nicht nur im Inland, sondern auch in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.
Gesetzlich Krankenversicherte können eine (zahn-)ärztliche Behandlung innerhalb der Grenzen der EU auch jenseits der Notfallversorgung in Anspruch nehmen. Diese europäische Rechtsprechung (EuGH, C – 385/99) hat auch der deutsche Gesetzgeber umgesetzt und die Gesetze entsprechend erweitert (§ 13 SGB V).
Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass der eine deutsche Person im Ausland behandelnde Zahnarzt, nachdem er die Leistung erbracht hat, seine Vergütung quasi von der Krankenversicherung dieser Person erhält, obgleich er nicht der kassenärztlichen Vereinigung angehört und über keine kassenärztliche Zulassung verfügt. Dies ist auch der Fall, wenn es in dem Mitgliedsstaat der EU gar kein vergleichbares Krankensystem gibt.
Dies bedeutet auch, dass der deutsche Arzt, der nicht der kassenärztlichen Vereinigung angehört und über keine kassenärztliche Zulassung verfügt, aber im Ausland tätig ist und deutsche Kassenpatienten behandelt, letztlich von der Krankenkasse das Geld für seine Leistung erhält.

Die gerade aufgezeigten Szenarien wecken insbesondere Bedenken im Hinblick auf den Wert ärztlicher Behandlungen, die nach sozialrechtlichen Vorschriften nicht abgerechnet werden dürfen und bzgl. des „Unmittelbarkeitserfordernisses“ des BGH.