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  • Urteile Verkehrsstrafrecht

Urteil des Landgerichts Würzburg – Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bei Vorwurf der Unfallflucht

Landgericht Würzburg


Az.: 1 Qs 249/21
6 Cs 962 Js 15684/21 AG Wurzburg
__

In dem Strafverfahren gegen

X


Rechtsanwalt Steur Thomas, Rechtsanwälte Partnerschaft, Marienplatz 1, 97070 Würzburg, Gz.: X
wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort


hier: vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis

erlässt das Landgericht Würzburg – 1. Strafkammer – durch die unterzeichnenden Richter am 3. Dezember 2021 folgenden


Beschluss

  1. Auf die Beschwerde des Angeklagten X gegen den Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 04.11.2021 wird dieser aufgehoben.
  2. Der sichergestellte Fuhrerschein des Angeklagten X ist unverzuglich an diesen herauszugeben.
  3. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Würzburg auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wird zuruckgewiesen.
  4. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.
Das Amtsgericht Würzburg erließ am 27.09.2021 einen Strafbefehl, mit dem es gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort eine Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 60,00 EUR verhängte, ihm die Fahrerlaubnis entzog, den Führerschein einzog und die Verwaltungsbehörde anwies, ihm vor Ablauf von 11 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.


Nach Einspruchseinlegung entzog das Amtsgericht Würzburg dem Angeklagten mit Beschluss vom 04.11.2021 gem. § 111 a StPO vorlaufig die Fahrerlaubnis.

Beiden Entscheidungen liegt die Annahme nachfolgenden Sachverhalts zu Grunde:
Der Angeklagte fuhr am 04.09.2021 gegen 17:30 Uhr mit dem Pkw Daimler XY, amt/. Kennz. X in Höhe seines Wohnanwesens X in Y und stieß hierbei beim Ruckwaitsfahren aus Unachtsamkeit mit der linken hinteren Ecke seines Fahrzeuges gegen den gegenüber seiner Einfahrt ordnungsgemäß durch Z abgestellten Pkw Toyota, amtl. Kennzeichen X. Hierdurch wurde sowohl die Fahrertüre als auch die Hintertüre der linken Fahrzeugseite stark eingedellt und verkratzt. Es entstand ein Sachschaden i.H.v. jedenfalls 3.232,18 EUR.
Obwohl der Angeklagte den Unfall bemerkte und erkannte bzw. damit rechnete dass ein nicht völlig unbedeutender Fremdschaden entstanden war, verließ er die Unfallstelle, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Er hatte zuvor sein Fahrzeug gewendet, fuhr in seine Einfahrt zuruck und besah sich die beiden beteiligten Fahrzeuge. Sodann ging der Angeklagte ohne weitere Zwischenschritte in sein Haus.
Der Verteidiger des Angeklagten legte mit Schriftsatz vom 19.11.2021 Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ein.
Der Führerschein des Angeklagten wurde am 22.11.2021 polizeilich sichergestellt.
Das Amtsgericht Würzburg half der Beschwerde am 23.11.2021 nicht ab.
Die Staatsanwaltschaft beantragte deren kostenpflichtige Veniverfung als unbegründet.

Gegen eine Entscheidung, mit der die Fahrerlaubnis nach § 111a StPO vorläufig entzogen wird, ist die (einfache) Beschwerde nach §§ 304ff StPO das statthafte Rechtsmittel.

Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulassig und im Ergebnis erfolgreich.

Nach § 111a StPO kann dem Angeklagten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis entzogen werden wird.
,,Dringende Gründe“ sind im Sinne eines dringenden Tatverdachts (vgl. §§ 112 Abs. 1 S. 1, 112a Abs. 1 S. 1 StPO) zu verstehen. Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis muss somit eine große Wahrscheinlichkeit für eine Anlasstat im Sinne des § 69 StGB bestehen. Aus dieser muss sich ergeben, dass der Beschuldigte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Das Gericht kann sodann die Fahrerlaubnis in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens vorlaufig entziehen (§111aAbs.1S.1).
Als solche Anlasstat kommt vorliegend (nur) das unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§§ 69 Abs. 2 Nr. 3, 142 Abs. 1 StGB) in Betracht.

Das Beschwerdevorbringen ist im Ergebnis zutreffend und zielführend.
,,Unfallort“ i.S.d. § 142 Abs. 1 StPO ist nicht nur der punktuelle Bereich, an dem sich der Unfall ereignet hat, das unfallbeteiligte Fahrzeug zum Stehen kommt, sondern schließt den naheren Umkreis mit ein, in dem feststellungsbereite Personen den Wartepflichtigen vermuten und ggfl. durch Befragen ermitteln würden (vgl. hierzu statt vieler: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Aufl. 2021, Bearbeiter: Zopfs, § 142 Rn. 48 m.w.N.).

Aus der Lichtbildtafel (Bl. 16-20 d.A.) ist ersichtlich, dass zwischen dem in der Einfahrt des Anwesens des Angeklagten geparkten Pkw des Angeklagten und dem auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkten Fahrzeug der Geschädigten eine Entfernung von weniger als 10 Metern liegt (Bild Nr. 1, Bl. 16 d.A.). Die Entfernung wurde auch durch den polizeilichen Sachbearbeiter als ,,weniger als 10 m Luftlinie“ geschätzt. Das Fahrzeug des Angeklagten stand nach dem Unfall bei dem Eintreffen der Polizei vor der Garage, die unfallbedingte Beschädigung an der hinteren Stoßstange wurde nicht verdeckt und ist optisch gut erkennbar. Die Beschädigungen beider Fahrzeuge korrespondieren.

Die Geschädigte hatte von ihrem Fahrzeug aus freie Sicht auf den Pkw des Angeklagten. Sie hat zudem von der Nachbarin des Angeklagten den Hinweis erhalten, dass dieser mit seinem Pkw ihr Fahrzeug beschädigt habe.

Unter diesen Umständen ware und war es der Geschädigten jederzeit moglich, mit dem unfallbeteiligten Angeklagten Kontakt aufzunehmen und von ihm die erforderlichen Feststellungen zu erlangen.

Gerade auch unter der Berucksichtigung des Rechtsguts des § 142 StGB, des Schutzes der Feststellung und Sicherung der durch einen Verkehrsunfall entstandenen zivilrechtlichen Ansprüche, kann vorliegend ein Entfernen vom Unfallort nicht angenommen werden. Die Feststellung und Sicherung möglicher Ansprüche der Geschädigten gegen den Angeklagten wurde nicht dadurch gefährdet, dass dieser sein Fahrzeug in der Einfahrt des Hauses geparkt hat und selbst in nur wenige Meter vom Unfallort entfernte Haus gegangen ist, welches er hiernach nicht mehr verlassen hat.

Aus diesen Gründen besteht kein dringender Verdacht, dass dem Angeklagten in diesem Verfahren die Fahrerlaubnis entzogen werden wird, so dass die Voraussetzungen der vorlaufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht vorliegen.


III.
Die Kostenentscheidung folgt aus dem Erfolg des Rechtsmittels (§ 473 Abs. 1 StPO).

gez.

Vorsitzender Richter am Landgericht

Richter am Landgericht

Richter am Landgericht